Was ist das Besondere an unserer geschätzten Passion, dem Pokerspiel?
Es ist eine besondere Faszination, die fast jeden kartenaffinen Menschen ergreift, wenn er das erste Mal mit Poker in Kontakt kommt. Es ist diese Mischung aus „Glück“ und Können, Erfahrung und Geschicklichkeit, deren verschiedene Anteile so schwierig zu quantifizieren sind und die die Argumentation pro oder kontra Glücksspiel so kompliziert macht.
Seuche und Lauf gehören dazu
Jeder halbwegs erfahrene Spieler wird bestätigen, dass sich im Poker langfristig Können und Erfahrung durchsetzen, kurzfristig aber das „Glück“ oder besser die Varianz entscheidend sein kann und eine sehr brutale Tendenz zugunsten des oder der eigentlich Unterlegenen zeigen kann. Das „Glück“ kann sogar eine komplette, vielleicht sogar mehrere Sessions oder einen längeren Zeitraum vollkommen dominieren, so dass dann – im Nachhinein – gern von einem „Lauf“ oder von der „Seuche“ gesprochen wird, je nachdem ob jemand begünstigt oder betroffen ist.
Das hat jede/r schon im positiven und im negativen Sinne erleben oder erdulden müssen. Davon zeugen die nie enden wollenden Bad Beat Stories, die sich in jedem Pokerbiotop so hartnäckig halten und die im Kern immer folgende Aussage beinhalten: „Irgend so ein Vollidiot hat mich mit XY gecallt. Er hatte nur eine z-prozentige Chance und was passiert? Er trifft seine …. Ich hasse dieses Drecksspiel!“
Tatsächlich sorgt diese Kurzzeitdominanz des „Glücks“ aber dafür, dass das Spiel überhaupt existiert, dass es weiterexistiert, dass Neuinteressierte den Weg zum Spiel finden und dass erfahrene Spieler Geld verdienen.
Wenn jede Pokersituation sich immer zugunsten des Favoriten entwickeln würde, wäre das Spiel vermutlich schon längst ausgestorben.
Nur die Tatsache, dass 5%-Chancen langfristig in fünf Prozent der Fälle eintreffen, gefühlt aber deutlich häufiger auftreten, sorgt dafür, dass die Begünstigten glauben, das Spiel und das Gewinnen sei einfach.
Verwässerungen im modernen Poker
Damit kommen wir zu einigen Entwicklungen im modernen Poker, zu denen ich meine Abneigung schon in vielen Texten erklärt habe. Ich möchte sie hier mit dem Oberbegriff „Verwässerungstendenzen“ bezeichnen.
Durch Verwässerung verdünnt man Substanzen, um deren Brisanz, Giftigkeit oder die Wirksamkeit zu mindern. Auch mit negativen Effekten. Verwässerten Getränken fehlt es oft an Substanz, Geschmack, Power.
Durch Verwässerung im Poker tritt ebenfalls ein Verdünnungseffekt ein, der die reine Idee und deren manchmal brutale Wirkung entschärft. Verwässert wird das Spiel seit einiger Zeit, bzw. auch aktuell durch folgende Elemente:
- Zu viele Re-Entries in BerlinRe-Entry-Turniere: Diese Turnierform hat sich leider seit einigen Jahren durchgesetzt und scheint die dominante Art zu bleiben. Wer wegen einer falschen Entscheidung oder durch brutales „Pech“, ausgeschieden ist, kann sich neu ins Turnier einkaufen. Die Wirkungsweise des Ursprungsprinzips von Turnierpoker, nämlich Elimination, wird dadurch ausgehebelt, bzw. massiv verzögert. Aktuellstes Beispiel: das anstehende Triple-A-Turnier der Spielbank Berlin. Laut Turnierflyer kann man während des ersten Spieltages unbegrenzte Re-Entries tätigen, sogar noch zu Beginn von Tag 2 ist das möglich. Geht es noch absurder? Unter solchen Bedingungen ist es ein Leichtes, einen „Sensations-Preispool“ von 100.000 Euro zu garantieren.
- „Run it several times“ im Cashgame: In einer All In Situation können sich die Beteiligten darauf einigen, die Restkarten (Turn oder River) oder sogar das ganze Board mehrmals dealen zu lassen. Damit soll Varianz aus dem Spiel genommen werden. Es lässt sich trefflich diskutieren, ob das in einer gegebenen Situation vernünftig ist, oder nicht. Auch diese Möglichkeit wird – einmal angeboten - oft genug maßlos übertrieben. Bei meinem letzten Besuch im Pia Bella Casino in Kyrenia/Zypern, war es vollkommen normal, bei All Ins mehrfach zu dealen. „Run it twice war eher selten, run it three to five times normal. Der eigentliche Spielablauf war dort nicht mehr üblich. Als ich dies Prozedere konsequent ablehnte, kam es dort mentalitätsbedingt in jedem Fall zu endlosen Diskussionen.
- Protection Poker: Vor Kurzem wurde über eine neue Variante berichtet, die im Aria Las Vegas ausprobiert worden sein soll. Bei „Protection Poker“ werden in einer All In Situation mithilfe eines Rechenprogramms die Chancen der beteiligten zwei Spieler berechnet. Wenn einer der Spieler ein Favorit von 65% oder mehr ist, erhält er direkt 20% des Pots. Auch hier geht es darum, Varianz aus dem Spiel zu nehmen, der Favorit soll „protected“ werden. Ob sich diese Spielergänzung durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.
Wie weit soll die Verwässerung noch gehen?
Man könnte diese Tendenzen gedanklich bis ins Absurde fortsetzen, dann wird vielleicht erkennbar, dass die Verwässerungstendenzen das Spiel zerstören. Re-Entries bis die Größe der Blinds die Gesamtmenge an Chips erreicht? „Run it x-times“, bis das Deck aufgebraucht ist? Protection Poker mit unmittelbarer Chancenermittlung für die Holecards und dann proportionaler Auszahlung für den Favoriten?
Bloß nicht! Was kann man dagegen tun? Einfach nicht mitmachen. Für mich gilt das bereits für die absurde Triple-A-Turnierform im Pokerfloor Berlin.
Lasset die Spieler abstimmen