Gut einen Monat ist es nun her, dass Christoph Vogelsang auf überzeugende Weise das teuerste und vermutlich renommierteste Pokerturnier des Jahres gewann – den Super High Roller Bowl 2017. In einem nervenzehrenden Heads-Up schlug er den anderen überragenden Spieler des Turniers, Jake Schindler, dem am Ende ein wenig das Glück und vielleicht auch die mentale Härte fehlte. Wir analysieren die allesentscheidende Hand, die dem Sieger 6 Millionen Dollar einbrachte.
Ausgangslage und Spiel bis zum River
Wie erwähnt, befinden wir uns im entscheidenden Heads-Up des Super High Roller Bowl 2017, und es sind noch die beiden Spieler übrig, die die überzeugendste Vorstellung bei diesem großen Spektakel mit den besten Spielern der Welt und ehrgeizigen Amateuren zeigten: Jake Schindler und Christoph Vogelsang.
Bereits seit fast fünf Stunden ringen die beiden Kontrahenten um den prestigereichen Sieg und den gewiss nicht unerheblichen Preisgeldunterschied von $2,4 Millionen zwischen Rang 2 und Rang 1 – der Sieger erhält $6 Millionen, der Zweite $3,6 Millionen.
Aktuell hat Christoph Vogelsang wieder die Nase vorn, nachdem er in einer der letzten Hände Schindlers geflopptes Set überholen und verdoppeln konnte. Der Chipstand sieht so aus:
Vogelsang: 8,9 Millionen
Schindler: 7,9 Millionen
Nun aber zur Hand, die wir bei Blinds von 50.000/100.000 plus 100.000 Button-Ante aus Vogelsangs Sicht betrachten.
Schindler limpt in den Pott, und Vogelsang checkt mit
Der Flop bringt
Vogelsang checkt, Schindler setzt 100.000 und Vogelsang callt. Im Pott sind 500.000, die effektiven Stacks betragen 7,6 Millionen.
Der Turn bringt die
Vogelsang checkt mit Two Pair, Schindler setzt 400.000 und Vogelsang checkraist auf 1,5 Millionen. Schindler callt. Im Pott sind 3,5 Millionen, die effektiven Stacks betragen 6,1 Millionen.
Der River bringt die
Vogelsang setzt 2,3 Millionen, und Schindler geht mit knapp 6,2 Millionen All-In. Vogelsang muss sich innerhalb sehr kurzer Zeit entscheiden und annonciert schließlich den Call.
Schindler muss den Bluff mit
zeigen, und Christoph Vogelsang steht als Sieger des Super High Roller Bowl 2017 fest!
Analyse und Bewertung
Abgesehen von ihrer enormen Bedeutung, gab es in dieser Hand auch viele interessante strategische Momente, die wir hier noch einmal näher untersuchen wollen.
Vor dem Flop könnte Schindler mit seinen J8s auch raisen, entscheidet sich aber mit seiner mittelstarken gleichfarbigen Hand für einen Call nach dem Motto „Let’s play Poker!“.
Vogelsang hat ohne Position eine ziemlich schwache Hand, T7o ist auch im Heads-Up unterdurchschnittlich.
Der Flop bringt dem Deutschen aber Top Pair – so ziemlich das Beste, was passieren konnte.
Eine Bet bringt dabei aber wenig, da im Grunde keine schlechteren Hände callen können und Schindler fast nie getroffen hat.
Nach Vogelsangs Check startet Schindler mit absolut gar nichts einen Versuch, den Pott zu stehlen – seine Bet von 100.000 in den Pott mit 300.000 muss nur in einem von vier Fällen funktionieren, daher ist sie mit gerade einmal zwei Backdoor Draws sehr profitabel.
Natürlich schmeißt Vogelsang mit Top Pair nicht weg – erneut gilt, dass er mit einem Raise nur von besseren Händen gecallt würde.
Action-Karte auf dem Turn
Der Turn bringt eine der Karten, die auch jeder Regisseur von Spannungsfilmen genommen hätte – die 7♥ bringt Schindler tatsächlich gleichzeitig einen Flush Draw und einen Gutshot, noch besser wäre lediglich die 9♥ gewesen, die ihm oben-unten gebracht hätte.
Als Vogelsang erneut checkt, gibt Schindler noch einmal Gas, und das völlig zu Recht. Er hat nun einen waschechten Semi-Bluff (nach dem reinen Bluff auf dem Flop), der mit seinen mindestens 12 Outs (der Bube könnte auch ein Out sein) gegen eine Hand wie Top Pair immerhin 25 Prozent Pot Equity hat.
Vogelsang kann aber genauso viele schwächere Hände haben wie eine Drei oder eine Zwei oder irgendeine andere Zufallshand, die einen Call auf dem Flop rechtfertigte und nun foldet.
Insofern ist Schindlers Bet sehr gut, doch Vogelsang hat die 7♥ ebenfalls geholfen – er hat nun Top Two Pair und damit für ein Heads-Up ein absolutes Monster.
Da das Board recht drawlastig ist und Schindler recht viel Stärke mit seinen beiden Bets demonstrierte, bringt Vogelsang einen Check-Raise.
Auch dieser Spielzug ist perfekt gewählt, denn Schindler hat ein sehr breites Spektrum (es ist durchaus denkbar, dass er aus Gründen der Täuschung mit einem hohen Paar limpte) und Vogelsang kann nicht nur von Draws gecallt werden.
Haariger River
Schindlers Call auf dem Turn bedeutet aus Sicht Vogelsangs, dass er etwas hat – entweder eine passable Hand mit Showdown Value oder einen guten Draw.
Die 2♣ ist zwar nicht die unangenehmste Karte, die für den Deutschen kommen konnte – ein Herz wäre sicher noch weniger schön gewesen – aber sie verändert dennoch einiges.
Gegen sämtliche Overpairs ist Vogelsangs Two Pair durch das niedrige Paar auf dem Board entwertet, d.h. AA bis JJ haben seine Hand gerade überholt.
Dennoch ist eine Bet völlig richtig. Von geplatzten Draws kann Vogelsang nur Chips gewinnen, wenn sie bluffen, aber Hände mit einer Zehn wie AT, KT usw. können durchaus noch eine Bet callen.
Als Vogelsang mit 2,3 Millionen seine Value Bet ansetzt, geht Schindler allerdings mit gut 6 Millionen All-In und übt damit maximalen Druck aus.
Schauen wir uns zunächst die Mathematik an, bevor wir den nächsten Schritt angehen. Für einen Pott mit rund 12 Millionen Chips muss Vogelsang knapp 4 Millionen bezahlen, er bekommt also sehr gute Pot Odds von 3 zu 1, doch wenn er die Hand verliert, blieben ihm nur noch 1 Million Chips bzw. 10 Big Blinds, was einer Vorentscheidung zugunsten seines Gegners gleichkäme.
In der Kürze der Zeit ist es selbst für einen Weltklassemann sehr schwer bis unmöglich, hier alles auszurechnen, aber wir wollen dennoch kurz auflisten, welche Hände Schindler haben kann und wie er damit spielen würde:
Overpairs (besser): Call (ein Raise wäre zu riskant, da fast nur bessere Hände callen)
Zehn + X (schlechter): Call (Raise bringt gar nichts)
Monster wie 33, TT, 22, 77 (besser): All-In (Gewinnmaximierung)
Schrott (schlechter): Fold (Aufgabe der Hand und Weiterspiel mit intaktem Stack) oder All-In (maximaler Druck und vielleicht ein wenig Frust)
Die Liste zeigt, dass es nur wenige gute Hände (im Grunde nur vier) gibt, mit denen Schindler hier so spielt, und natürlich hat ein so starker Spieler wie er immer auch Bluffs in seinem Spektrum.
Vogelsang traf also nicht nur die siegreiche, sondern auch die richtige Entscheidung, da Schindler hier oft genug blufft, oder anders gesagt, zu selten stark ist.
Fazit
Vielleicht unter dem Eindruck einer unglücklich verlorenen Hand wenige Minuten zuvor riskiert Jake Schindler nach einem zermürbenden Heads-Up mit einem gewagten Bluff alles, zieht dabei aber den Kürzeren.
Wie schon an den vier Tagen zuvor des SHRB präsentiert sich Christoph Vogelsang auf der Höhe des Geschehens und trifft – wieder einmal – die richtige Entscheidung!