Immer wieder gibt es sie, diese magischen Pokerduelle, bei denen die Wahrscheinlichkeitsrechnung verrückt spielt und man die Spannung zwischen den Spielern förmlich knistern hört. Beim Main Event der WSOP 2017 lieferten sich Vanessa Selbst und Gaelle Baumann ein solch dramatisches Gefecht, an dessen Ende die erfolgreichste Pokerspielerin aller Zeiten mit einem Full House ihre Sachen packen musste!
Ausgangslage und Spiel bis zum River
Wir steigen ein in die Frühphase des WSOP Main Event 2017, an Tag 1B sitzen am Featured Table zwei der stärksten Damen der Pokerwelt, Vanessa Selbst und Gaelle Baumann.
Die Blinds betragen 75/150, und Vanessa Selbst (43.400 Chips) bekommt in dritter Position
Sie raist auf 400 und bekommt mit Gaelle Baumann (50.425 Chips) auf dem Button und Jake Schwartz (51.025) im Big Blind zwei Caller. Im Pott sind 1.275 Chips, die effektiven Stacks betragen 43.000.
Der Flop bringt
Schwartz checkt, Selbst setzt 700, Baumann callt und Schwartz foldet. Im Pott sind 2.675 Chips, die effektiven Stacks betragen 42.300.
Der Turn bringt die
Selbst checkt, Baumann setzt 1.700, Selbst checkraist auf 5.800 und Baumann callt. Im Pott sind 14.275 Chips, die effektiven Stacks betragen 36.500.
Der River bringt die
Selbst setzt 16.200, Baumann geht mit effektiven 36.500 All-In und Selbst fängt an nachzudenken. Nach einer Minute entschließt sie sich zum Call und bekommt von Baumann
präsentiert. Während die Französin ihren Stack auf über 90.000 ausbaut, scheidet Vanessa Selbst im ersten Blindlevel des WSOP Main Event aus.
Analyse und Bewertung
Eine zweifellos brutale Situation im ersten Blindlevel (!) des wichtigsten Turniers des Pokerjahrs, in die Vanessa Selbst hier hineingeriet. Obwohl es so aussieht, als hätte es für sie keinen Ausweg gegeben, enthält die Hand einige interessante Momente, die wir uns in der Folge näher ansehen wollen.
Vor dem Flop bringt Selbst einen Standard-Raise auf 2,66BB, denn sie will mit ihren Assen auf keinen Fall alle Spieler vertreiben, sondern wenn möglich gegen einen bis zwei Spieler antreten.
Diese Rechnung geht auf, als Gaelle Baumann, eine recht tighte Spielerin, und Jake Schwartz im Big Blind callen. Der Flop dagegen hinterlässt eher gemischte Gefühle.
Zwar hat Selbst nun Top Set, aber mit drei Kreuz auf dem Board kann ihre Hand nicht nur bereits geschlagen sein, sondern mit einem vierten Kreuz sogar komplett pulverisiert werden.
Dennoch ist es nach Schwartz‘ Check korrekt zu setzen. Einerseits kann Selbst sämtliche Hände mit dem K♣ oder der Q♣, die beide in den gegnerischen Spektren stark vertreten sind, abkassieren und außerdem gibt es durchaus auch einige schwächere fertige Hände – wie etwa AX – die eine Bet bezahlen können.
Baumanns Call sagt dementsprechend nicht sonderlich viel aus, sie kann hier in Position mit sehr vielen Händen callen, auch solchen, mit denen sie in der Frühphase des Turniers einfach nur billig Chips stehlen will.
Hammerkarte auf dem Turn
Die 7♠ ist eine Karte, die Selbst selbstverständlich sehr gut gefällt. Nachdem ihre Hand zuvor trotz Top Set recht anfällig war, hat sie nun die Second Nuts wird nur vor einer Hand geschlagen: 77
Gleichwohl ist es nun nicht so leicht, viele Chips zu gewinnen, da die Gegnerin schon zwei Kreuz, eine Sieben oder gar Fünfen braucht, um nach einer Bet weiterzuspielen.
An dieser Stelle entschließt sich Selbst zu einem Trickspielzug. Sie checkt, in der Hoffnung auf eine gegnerische Bet, mit der sie weitere Chips gewinnen kann – sei es von einem Bluff, sei es von einer der genannten Hände.
Und prompt macht ihr Baumann den Gefallen und setzt rund zwei Drittel der Pottgröße. Selbst könnte nun callen, um das gesamte Spektrum incl. Bluffs im Pott zu halten, aber dann hätte sie auf dem River das Problem, wie sie die Hand fortsetzen soll.
Checkt sie dann, checkt ihre Gegnerin vielleicht auch und sie kann keine weiteren Chips gewinnen, während eine eigene Bet reichlich merkwürdig aussähe.
Ihr Check-Raise ist daher interessanter Versuch, ihre eigene Hand nach einem Bluff aussehen zu lassen, denn Pott anzufüttern und gleichzeitig die Initiative an sich zu reißen, um eine Bet folgen zu lassen.
Das Drama auf dem River
Baumann lässt sich mit ihrer konkreten Hand natürlich nicht verscheuchen, und ein Call ist an dieser Stelle auch der eindeutig beste Spielzug – mit ihm lässt sie auch alle Bluffs in der Hand und gibt ihnen die Gelegenheit, auf dem River weitere Chips zu verlieren.
Als Selbst dort erneut setzt und mit 16.200 sogar eine leichte Overbet bringt, die erneut nach einem Bluff aussehen soll, gibt es natürlich kein Halten mehr für die Französin.
Sie geht recht zügig All-In und bringt ihre Gegner damit regelrecht ins Schwitzen. Selbst weiß jetzt, dass ihre Gegnerin stark ist und auf keinen Fall blufft – Baumann gibt ihr Pot Odds von mehr als 3,3 zu 1, was mit einem Bluff nie und nimmer ausreicht, um eine starke Hand zum Folden zu bekommen.
Im Grunde lässt sich Baumanns Spektrum somit recht leicht eingrenzen: Sie kann 77 haben, sie kann A7 haben und sie kann 55 haben – alle anderen Hände kommen nicht infrage, auch 44 nicht, da diese Hand nicht bis zum River gekommen wäre.
Schauen wir uns die Hände der Reihe nach an:
-77 ist zwar nur eine Kombination – exakt 7♥ 7♦ – aber sehr stimmig mit Baumanns Spielweise: Call auf dem Flop mit dem Set, Bet-Call mit dem Monster auf dem Turn und All-In auf dem River.
-Von A7 kommt eigentlich nur eine Kombination infrage – A♥ 7♥ –, da Baumann vermutlich zu tight ist, um selbst auf dem Button mit A7o vor dem Flop einen Raise zu callen. Auch zu dieser Hand passt die Setzfolge samt dem All-In auf dem River, das z.B von 55 gecallt werden kann.
-55 ist nicht ganz so wahrscheinlich, da sich Baumann fragen muss, mit welcher schlechteren Hand Selbst eine solche Welle macht UND ein All-In bezahlen kann. Vermutlich würde die Französin damit nur callen.
Unterm Strich gibt es also genau zwei (!) Kombinationen, die Baumann haben kann, und da sie mit beiden All-In geht, ist der Call von Selbst korrekt.
Die Amerikanerin hat die Hand perfekt analysiert und dies auch danach so wiedergegeben und sich ins Unvermeidliche geschickt.
Fazit
In einer dramatischen Hand muss Vanessa Selbst das brutale Aus im WSOP Main Event hinnehmen, bevor dieser überhaupt richtig begonnen hat.
Gaelle Baumann bezeichnete die Spielweise ihrer Gegnerin hinterher als etwas „freaky“, vermutlich meinte sie damit den Check-Raise auf dem Turn.