Dieser Spruch sagt viel über die Essenz von Poker aus, und er ist nicht zufällig schon mehrfach zitiert und analysiert worden. Was die grundlegende Pokerstrategie betrifft, ist es tatsächlich eine goldene Weisheit. Aggressivität funktioniert, weil man sich dadurch zwei Gewinnmöglichkeiten eröffnet:
- Man kann den Gegner dazu bringen, eine bessere Hand als die eigene zu folden.
- Man gewinnt mehr, wenn man die bessere Hand hält und bezahlt wird.
Wie man Profit erspielt
Checks und Calls gewinnen nur mit der besseren Hand und haben keinerlei Potkontrolle. Aber es gibt noch andere Gründe, die Caro bestätigen, und die haben mit zukünftigem Profit zu tun, also mit Geld, um das noch gar nicht gespielt wurde.
Die Elemente, die mit diesen potenziellen Einkünften zu tun haben, sind hauptsächlich psychologischer Natur. Es handelt sich nicht um spezielle strategische Spielzüge in einzelnen Händen, sondern gehören zu dem, was Dan Harrington als Metagame bezeichnet hat – die Spielelemente, die das Spiel über längere Zeit und über viele Spieler hinweg charakterisieren.
Das Metagame-Prinzip ist von großer Wichtigkeit und wurde auch an dieser Stelle bereits mehrfach diskutiert.
Welche Rolle Aggressivität im Metagame spielt, hat viel mit dem Hormon Testosteron zu tun, mit dem Einfluss auf unsere Psyche und Physis, und auf das Selbstvertrauen. Daneben spielen auch Erfahrungswerte eine große Rolle. Erlauben Sie mir bitte, dass ich mich kurz in einer medizinischen Lektion ergehe.
Testosteron ist ein anaboles Steroid, das wie andere Steroide von Cholesterin herstammt (und Sie dachten, das Zeug täte nichts anderes als Ihre Arterien zu verstopfen). Es wird hauptsächlich in den männlichen Geschlechtsorganen produziert, in weit geringerem Maße auch in den Eierstöcken der Frau.
Es hat erheblichen Einfluss auf körperinterne Vorgänge, z. B. das Muskelwachstum, Körperbau, sexuelle Erregung und Knochenstabilität. Außerdem beeinflusst es kognitive Vorgänge, die Wachsamkeit, und es steigert – unter bestimmten Bedingungen – die Aggressivität.
Seit längerem geht die Theorie um, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Testosteronlevel und Poker-Aggressivität besteht. Möglich wäre das schon, sogar ziemlich wahrscheinlich, aber mir sind keine wissenschaftlichen Studien bekannt.
Wenn ein Zusammenhang besteht, ist er aber wohl relativ komplex, denn wir wissen, dass Hormonlevel von vielen Faktoren abhängen, darunter auch von der Lernfähigkeit. Werfen wir einen Blick auf die folgende Studie – und ja, sie ist für Pokerspieler sehr nützlich.
Wissenschaftler wählten einen jungen Affen aus, der in der Stammeshierarchie relativ weit unten angesiedelt war, und der einen niedrigen Testosteronlevel aufwies. Nennen wir ihn Max. Der arme Kerl wurde regelmäßig von den aggressiveren Männchen des Rudels vermöbelt.
Dann aber kam die Wissenschaft, und mit ihr die Rettung. Die Forscher griffen sich das Männchen, das direkt über Max in der Hierarchie stand und stellten es mit medizinischer Hilfe ruhig. Max gewann erstmals einen Kampf und nahm den Platz seines Gegners in der Hierarchiepyramide ein.
Das war aber erst der Anfang des Experiments. Nach einer Serie verschobener Boxkämpfe (Sie wissen schon, wie im Fernsehen, wenn es um Titel geht), kletterte Max in der Hierarchie immer weiter nach oben.
Max ging es immer besser. Mit seinem Aufstieg stieg auch sein Testosteron-Niveau. Er legte Gewicht zu, wurde stärker und wirkte immer selbstsicherer und souveräner. Affenkollegen, die ihn einst eingeschüchtert hatte, waren nun vor ihm auf der Hut.
Die Botschaft ist eindeutig. Testosteron ist keine biologische Konstante. Das Niveau kann manipuliert werden und ändert sich durch Erfahrungen.
Damit kommen wir zu Poker zurück. Jeder weiß, dass mehr gewinnt, wer besser spielt, aber es trifft auch zu, dass man besser spielt, wenn man gewinnt. Man holt ein paar Pots nacheinander, und schon steigen die Hormonwerte.
Man baut seinen Stack auf, und das Selbstvertrauen steigt. Man nimmt ein paar Gegner vom Tisch, und schon spielt man aggressiver. Man fühlt sich stark, sicher, und – das ist das Entscheidende – die Gegner spüren das.
Kommt man an den Tisch mit einem gesunden Selbstwertgefühl und einem (realistischen) Maß an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, dann besitzt man gegenüber den Gegnern schon einen psychologischen Vorteil.
Selbstvertrauen ist die Voraussetzung für die Aggressivität, die sofortige Gewinne ermöglicht, vor allem aber verändert es die Kräfteverhältnisse im Metagame, wie das Beispiel mit unserem Äffchen Max zeigt. Wir fühlen uns bestätigt, das Selbstbild gestaltet sich positiv, und wir fühlen uns mehr und mehr wie ein Alpha-Männchen.
Anders herum kann uns eine Serie von Misserfolgen zum Schwanken bringen. Wir steigen in der Tischhierarchie ab, und jeder Max am Tisch, der erkennt, was wir für Schwächlinge sind, wird gnadenlos auf uns einprügeln.
Eine Serie von Bad Beats ist aus psychologischer Sicht durchaus mit einer Serie verschobener Boxkämpfe vergleichbar, bei denen wir auf der Verliererseite stehen.
Natürlich ist dieser Zusammenhang nicht unentdeckt geblieben. Es gibt bereits mehrere Firmen, die Produkte für Pokerspieler vertreiben und die angeblich das Testosteron-Niveau nach oben schnellen lassen.
Gamma Labs, Hersteller eines Produkts, das hauptsächlich aus Reiskleie und Granatapfel besteht, wurde sogar einmal offizieller WSOP-Sponsor.
Das das Produkt als Nahrungsergänzungsmittel gilt, wird es von der amerikanischen Gesundheitsbehörde keiner genaueren Untersuchung unterzogen. Nennen Sie mich ruhig misstrauisch. Caveat emptor.
Gibt es auch eine Kehrseite der Medaille? Sicher. Ein zu hohes Testosterno-Niveau gilt als Auslöser unangemessener Aggressivität.
Das ist nicht allzu schlimm, denn wie Caro gesagt hat, ist zu viel Aggressivität selten ein Fehler. Je aggressiver man spielt, desto größer sind allerdings auch die Swings, und desto dramatischer wirkt sich die Varianz aus. Das ist nur dann kein Problem, wenn man psychisch damit umgehen kann.
Zuletzt eine tiefer gehende Frage: Wirkt sich der Zusammenhang zwischen Testosteron und Aggressivität auch auf zwischengeschlechtliche Verhältnisse aus? Ich nehme es an, aber darüber wird in einem späteren Artikel noch zu reden sein.
Dieser Artikel wurde von Arthur S. Reber verfasst, erschien bereits im Jahr 2011 und hat seither nichts von seiner Aktualität eingebüßt.