Natürlich ist die letzte Stunde einer Pokersession weniger allumfassend und sicher weniger dramatisch als in einem Science-Fiction-Roman oder einem Film über das Ende der Welt.
Die meisten Spieler haben allerdings keine Vorstellung davon, wie gefährlich diese letzte Stunde sein kann.
Mehr Fehler und mehr Kummer, als man sich vorstellen kann
In all den Jahren habe ich in diesen letzten etwa 60 Minuten mehr Fehler, größere Verluste und schlimmeren Kummer erlebt, als Sie sich vorstellen können.
Dafür gibt es psychologische Gründe, und wenn wir diese verstehen, können wir solchen Vorfällen künftig vorbeugen.
Ich hoffe, Sie haben das “Wir” im letzten Satz bemerkt, das dort steht, weil ich mich selbst der Kategorie derer zurechne, die es in den letzten Runden vor der Auszahlung immer wieder vergurken.
Dies ist übrigens kein typischer Strategieartikel, aber das Thema dennoch tief strategisch.
Halten Sie sich an meinen Rat, wird sich dies in der Zukunft bezahlt machen. Genauso, als ob Ihnen jemand ins Ohr flüstert: „Schmeiß diese blöden Buben weg, nachdem Du geraist wurdest und der Big Blind noch einen obendrauf gesetzt hat.“
Worin sich die letzte Stunde vom Rest unterscheidet
Die letzte Stunde einer Pokersession unterscheidet sich schlicht deswegen von allen anderen, weil wir uns mit besonderer Präzision um den Zustand unserer Bankroll Gedanken machen.
Uns wird akut bewusst, wie weit wir hinten bzw. vorne sind.
Natürlich beachten wir ständig unsere Stacks, doch wenn die Zeit schwindet, fügen wir diesen noch eine mentale Fußnote hinzu:
„Hm, ich bin X Kokosnüsse (oder worum Sie sonst spielen) vorne/hinten und habe nur noch ungefähr eine Stunde Zeit, etwas dagegen zu unternehmen.“
Für dieses „etwas“ gibt es viele Varianten.
Liegen wir hinten, denken wir darüber nach, wie wir an diesem Abend noch aus den Miesen herauskommen können.
Liegen wir vorne, denken wir darüber nach, wie wir im Plus bleiben und einen Gewinn einfahren können oder mit einem Monster eine unvergessliche Session erreichen.
Natürlich gibt es noch weitere Varianten, wie zum Beispiel der Typ, der weiß, dass er noch 18 Chips gewinnen muss, um einen Chiptray zu füllen. Oder der Typ, der auf jeden Fall mindestens 500 Dollar Plus haben will.
In allen Fällen haben Sie ein Problem und laufen Gefahr, dumme Entscheidungen zu treffen.
Überlegen Sie, ob Ihnen diese Szenarien nicht allzu vertraut vorkommen:
- 1. Sie sind im Small Blind, liegen zwei Buy-Ins hinten und kochen innerlich. In einer halben Stunde sind Sie mit Ihrem Kumpel verabredet. Dann raist ein tight-aggressiver Spieler auf 4 Big Blinds. Alle anderen folden und Sie denken: „Hm, 76o ist die ideale Hand, um es diesem Idioten zu zeigen …“
- 2. Sie sind drei Buy-Ins im Minus. Ihr innerer Motor läuft auf Hochtouren. In UTG nehmen Sie ein Paar Buben auf. Sie raisen, ein tighter Spieler in mittlerer Position reraist und der Button geht All-In und Sie … hm, hatten wir das nicht schon?
- 3. Sie haben an diesem Abend ein Plus von 20 BB. Nun sind Sie auf dem Button und ein Irrer raist auf 3 BB. Die nächsten sechs Spieler callen und Sie folden 98s, weil Sie auf keinen Fall in eine Hand verwickelt werden wollen, mit der Sie noch ins Minus rutschen können.
- 4. Sie haben bisher ein ausgeglichenes Ergebnis erzielt. In mittlerer Position haben Sie ein Paar Fünfen. Alle Spieler vor Ihnen folden und Sie folden, obwohl Sie erkennen, dass die beiden nächsten Spieler limpen wollen.
In diesen und vielen anderen Geschichten, an die Sie sich erinnern oder die Sie sich vorstellen können, haben Sie eine grauenhafte Entscheidung getroffen.
Und jedes Mal hätten Sie die Hand fast sicher nicht so gespielt, wenn Sie sich nicht in der letzten Stunde befunden hätten.
In den ersten beiden Geschichten forcierten Sie übertrieben Ihre Hand, in der unrealistischen Hoffnung, Sie könnten den Tag noch gut abschließen.
In den beiden letzten Fällen spielten Sie wie ein Weichei, weil Sie befürchteten, als Verlierer nach Hause zu gehen.
Wie man diese Fallen umgeht
Und wie umgeht man diese Fallen?
Dafür gibt es viele Methoden, aber entscheidend ist ein Punkt: Beobachten Sie Ihre Resultate langfristig und kumuliert.
Registrieren Sie nur Gewinne und Verluste in einzelnen Sessions, haben Sie keinen Gesamtüberblick.
Dies allerdings ist dumm, und so behalten Sie auch nicht den Überblick über Ihre privaten Finanzen.
Als Geschäftsmann könnten Sie so nicht überleben. Es gibt immer gute und schlechte Tage.
An einem Tag steigt der Börsenkurs um 200 Punkte und am nächsten fällt er um 150. Am Montag wird viel bestellt und am Dienstag wenig.
Das Geschäft läuft im Sommer, geht im Winter aber zurück. Doch Sie rennen nicht wie ein Irrer in der Gegend herum, weil Sie meinen, jeden Tag Gewinn machen zu müssen.
Sie sehen die Sache langfristig. Wie hat sich der Markt im letzten Monat entwickelt? Haben ich im letzten Quartal oder Jahr einen Gewinn erwirtschaftet?
Haben Sie in Ihrer bisherigen Laufbahn Plus gemacht?
So sollte Ihr Ansatz beim Poker aussehen.
Sie wollen wissen, ob Sie vorne oder hinten liegen, aber nicht heute oder diese Woche, sondern in den letzten Monaten oder Jahren, und im Idealfall in Ihrem gesamten Leben.
Spielen Sie neun Stunden lang NLHE mit Blinds von 1$/2$ und sind 400 $ im Minus, sollten Sie nicht einmal daran denken, in dieser Session noch ausgeglichen abzuschneiden.
Betrachten Sie die Sache in einem größeren Zusammenhang. Liegen Sie in diesem Monat, in den letzten drei Monaten oder in diesem Jahr vorne bzw. hinten?
Behalten Sie dauerhaft den Überblick, stellen Sie vielleicht fest, dass Sie selbst nach dem Verlust der besagten 400 Dollar noch leicht im Plus sind.
Damit gibt es auch keinen Grund, mit Gewalt ein ausgeglichenes Ergebnis erzielen zu wollen. Das haben Sie bereits!
Die gleiche Logik gilt, wenn Sie vorne liegen. Sind Sie 470 Dollar im Plus, müssen Sie nicht verrückt spielen, um mit weiteren 30 Dollar Ihren Chiptray füllen zu können.
Vergessen Sie das ganze Thema. Räumen Sie Ihre Chips einfach in den Tray und lassen Sie den Kassierer zählen, wie viel Geld Sie dafür bekommen.
Das ergibt Sinn und ist einfach zu begreifen. Oder?
Nun, einerseits ja, andererseits nicht.