Text: Lee Davy (im englischen Original » auf PokerListings.com erschienen)
Callen oder Raisen?
Die Antwort auf diese Frage hängt natürlich immer von der jeweiligen Situation ab. Aber ich scheine die furchtbare Angewohnheit zu haben, immer eine Schema-F-Lösung zu brauchen.
Einst war ich ein sehr passiver Spieler und callte die ganze Zeit. Ich wollte halt ohne viel Federlesen zum Showdown.
Dann habe ich etwas Coaching bekommen. Da habe ich gelernt, viel aggressiver zu sein. Dann habe ich immer geraist. Ich habe die Federn quasi gleich mit den Zähnen rausgerissen.
Aber das war helles Chaos. Mein Coach erklärte, es sei offensichtlich, dass ich keine Ahnung habe, was ich da tue, aber trotzdem sei ich ein unangenehmer Gegenspieler.
Inzwischen habe ich begriffen, dass Schema-F eine ganz falsche Idee ist. In jeder Hand spielen viele verschiedene Variablen eine Rolle und man muss all diese entziffern und Hand für Hand eine neue Entscheidung treffen.
Also: Callen oder Raisen? Ich habe immer noch keine Ahnung, aber vielleicht helfen diese Jungs uns ja weiter:
Pascal Lefrancois
Jonathan Duhamel hat mir mal gesagt, dass Pascal Lefrancois der beste Turnierspieler der Welt ist. Deswegen wunderte es mich nicht, dass Marc-Andre Ladouceur ihn in sein Global-Poker-League-Team, die Montreal Nationals, wählte.
Also, das meint Pascal:
Dieser Spot ereignete sich jüngst bei einem $10 / $20 NLH-Spiel und ich glaube, mein Gegner machte hier einen Fehler, als er auf dem Turn all-in stellte. Er hätte callen sollen – zumindest in den allermeisten Fällen.
Mein Gegner raiste vom Button auf $45 und ich brachte aus dem Small-Blind eine 3-Bet mit Q♠ 8♠ auf $175. Nur mein Gegner callte. Flop: A♠ 9♠ 2♥.
Ich spielte Drittel Pot an und mein Gegner callte. Turn: 8♦.
Ich spielte $440 in den $620 Pot an und mein Gegner ging für $1.100 mehr all-in. Ich callte und mein Gegner zeigte K♠ T♠.
Klar, in diesem Spot sollte man ab und zu – wie mein Gegner – all-in stellen und ab und zu sollte man auch bluffen.
Aber der Flushdraw mit K♠ T♠ ist eine ziemlich schlechte Hand für ein All-In und stattdessen eine super Hand für einen Call.
1. Ich mag das All-In nicht, denn die Hand ist extrem gut gegen meine eigenen Bluffs (schlechtere Flush-Draws, Straight-Draws, etc.) und die will er in meiner Range behalten.
2. Es gäbe Bluffs mit weniger Showdown-Value. König-Zehn gewinnt hier nicht viele Showdowns, ja. Aber es hat immer noch mehr Equity als andere Hände in meiner Range.
Hände wie 45, 56, 67, T7 oder JT (jeweils Pik) wären weit bessere Hände für ein All-In. Und ein Call gefiele mir besser, weil die Odds – zusammen mit den implied Odds – ziemlich gut sind und es so ein sehr profitabler Call wäre.
Jonathan Little
Jonathan Little hat 16 Pokerbücher verfasst, ist Coach und Mitglied der Las Vegas Moneymakers bei der Global Poker League. Eine WPT hat er auch gewonnen. Also los, Jonathan:
Eine von vielen Situationen bei denen ein Call besser ist als ein Raise, ist diese: Deine Hand ist sehr wahrscheinlich besser als die Hand deines Gegners, aber kann nicht mehr gut sein, wenn viel Geld in den Pot wandert.
Ein Beispiel: Jemand erhöht aus früher Position an einem Tisch mit neun Spielern. Jeder foldet zu dir in mittlerer Position und du hast Zehnen oder Ass-Dame-suited. Du solltest hier fast immer callen, wenn die Stacks einigermaßen tief sind.
Auch wenn du mit Zehnen oder Ass-Dame hier wahrscheinlich vor deinem Gegner liegst, wird sich das ändern, wenn du reraist und dein Gegner entweder callt oder gar eine 4-Bet bringt.
Um den Punkt klarer zu machen: Nehmen wir mal an, dein Gegner erhöht als früher Position mit Assen bis Sechsen, Ass-König bis Ass-Bube, König-Dame und ein paar wenigen starken gleichfarbigen Karten. Gegen diese Range haben Ass-Dame und Zehnen rund 52% Equity.
Wenn dein Gegner aber nur mit Assen bis Zehnen, Ass-König und Ass-Dame gegen einen Raise weiterspielt, liegt deine Equity schon nur noch bei 40%. Also, würdest du lieber einen kleinen Pot mit 52% Equity spielen oder einen klitzekleinen Pot preflop stehlen, mit der Gefahr einen großen Pot mit 40% Equity austragen zu müssen?
Insbesondere in Turnieren, wo es wichtig ist, die Wahrscheinlichkeit des eigenen Busts zu minimieren, ist ein Call in solchen Situationen fast immer besser. Vielleicht sogar mit so starken Händen wie Damen oder Ass-König.
Mach nicht den Fehler, blindlings zu reraisen, nur weil deine Hände stark aussehen. Denk immer darüber nach, wie die Hand ausgespielt wird und wähle eine Spielweise, die für dich maximal profitabel ist.
Bertrand “Elky” Grospellier
Bertrand “Elky” Grospellier ist einer von nur fünf Spielern, denen es gelang, die Triple-Crown (WSOP-, EPT-, und WPT-Titel) zu gewinnen. Er hat über 10,9 Millionen Dollar in Turnieren eingeheimst und erst letzte Woche gewann er ein Hearthstone-Turnier.
Irgendwelche Nullen bei den riesigen Zahlen vergessen? Nein! Rüber zu Elky:
Callen oder Raisen – das ist immer ein schwieriges Thema. Denn beim Poker hängen einzelne Spots immer von den jeweiligen Spielstilen, der Geschichte zwischen dir und deinem Gegner und natürlich von dir selbst ab.
Mit den Nuts auf dem Turn zu raisen kann zum Beispiel genau richtig sein, wenn man aggressiv spielt und sonst viel blufft. Aber wenn man nur mit den Nuts raisen würde, ist ein Call natürlich besser.
Die Ranges auszubalancieren ist sehr wichtig, wobei dies bei Turnieren keine ganz so große Rolle spielt.
Aber ich denke, es ist ein üblicher Fehler, einfach zu raisen, nur weil man meint, man hätte die beste Hand, ohne über die Calling-Range des Gegners nachzudenken.
Ein Beispiel: Angenommen du erhöhst aus später Position mit A ♣ J♠ und der Big Blind verteidigt. Der Flop kommt T♦ 9♣ 6♣.
Der Big Blind check-callt deine C-Bet, auf dem T♣ Turn checkt ihr beide und der River fällt 7♣. Dein Gegner spielt an.
Ganz klar, du liegst hier meilenweit vor der Range deines Gegners, denn der würde hier mindestens jede Kreuzkarte, vielleicht sogar eine Zehn oder eine Straße anspielen. Aber ein Raise? Du würdest hier doch faktisch nie als Bluff raisen und würde dich dein Gegner mit dem Kreuz-König oder der Kreuz-Dame callen?
Wahrscheinlich nicht oft genug, damit ein Raise profitabel ist. Aber ein Full House, das könnte dein Gegner natürlich immer haben und würde dies wohl nie gegen dich folden… Deswegen ist ein Call hier deutlich besser.
Jeff Kimber
Jeff Kimber ist gesponserter Grosvenor-Pro und gewann bereits das Grosvenor UK Main-Event. In Live-Turnieren hat er über 1,6 Millionen Dollar gewonnen und ist in Großbritannien einer der angesehensten Live-Spieler.
Also bitte, Jeff:
Jeder Spieler scheint seine Gegner in Diskussionen einordnen und kategorisieren zu können, aber die wenigsten scheinen sich ihres eigenen Images bewusst zu sein.
Es ist extrem wichtig, sein eigenes Image zu kennen, zu wissen, wie man vorige Hände gespielt hat, wie aktiv man war, welche Karten man gezeigt hat und wie man diese gespielt hat – insbesondere frühere Hände gegen aktuelle Gegner.
Wenn man über Spots zum Callen vs. Raisen nachdenkt, muss man sicherstellen, dass die Spielweise konsistent mit dem Image ist.
Verteidigt man zum Beispiel sehr häufig seine Blinds, ist es in der Regel korrekt, nur zu callen, wenn man ein Monster (etwa ein Set) trifft. Das ergibt Sinn, denn es täuscht den Gegner und ist insbesondere gut, wenn er mehrere Salven abfeuert.
Die Raising-Range auf dem Flop ist ohnehin zwischen Monstern und Bluffs polarisiert. Wenn es also keinen anderweitigen triftigen Grund gibt, die Stärke der eigenen Hand bei einem noch sehr kleinen Pot durch einen Raise zu offenbaren, ist ein Call die beste Option.
Aber natürlich müssen die Umstände auch stimmen. Du brauchst einen Gegner, der mehrere Salven abfeuert, der dich bereits früher auf dem Flop callen und später folden gesehen hat oder dich mit schwachen Händen beim Showdown erwischt hat. Und natürlich müssen auch noch ein paar Chips in den Stacks vorhanden sein, damit die Täuschung funktioniert.