In unserer Rubrik Handsalat werfen wir einen Blick auf spannende oder strategisch interessante Hände der Pokerwelt. Dabei beleuchten wir die Feinheiten jedes Zugs und bewerten die Spielweise der Akteure.
Hier werfen wir einen Blick auf einen verrückt wirkenden River-Bluff, der sich in der späten Phase des Main-Events der WSOP 2021 ereignete. Die Protagonisten sind Dragana Lim und David Coleman.
Zunächst die Hand schriftlich:
Dragana Lims verrückter WSOP-Bluff
Die Blinds liegen bei t50k / t100k mit einer t100k Big Blind Ante.
Dragana Lim (UTG) - t9.640.000: 9 9
David Coleman (UTG+2) - t4.265.000: K J
Preflop: Lim raist auf t250k, Coleman reraist auf 750k, Lim callt.
Flop (t1.750k): 10 3 2
Lim checkt, Coleman setzt t575k, Lim callt
Turn (t2.900k): 10
Lim checkt, Coleman checkt
River (t2.900k): K
Lim checkt, Coleman setzt t1.150k, Lim raist all-in (effektiv 2.900k), Coleman callt
Coleman gewinnt mit Two Pair - Kings and Tens
Dies die Hand im Video:
Gehen wir die Hand Schritt für Schritt durch und schauen auf die einzelnen Züge der Protagonisten.
Preflop: Ein marginaler Reraise
Vor dem Flop raist Dragana Lim mit Neunen aus erster Position auf 2,5 Big Blinds. Dieser Zug ist selbstverständlich und sollte in 100% der Fälle so oder zumindest sehr ähnlich erfolgen.
Nur zwei Positionen hinter ihr hat David Coleman mit K J eine Hand, die zwar gut aussieht, aber tückisch zu spielen ist. Gegen eine starke Range ist diese Hand häufig dominiert, selbst wenn sie auf dem Flop etwas trifft. Trifft man zum Beispiel einen sehr guten Flop wie J-9-2, liegt man immer noch gegen A-J und JJ oder besser hinten. All diese Hände sind beim Gegner problemlos möglich.
Die Hände AJ, JJ, QQ , KK und AA machen auf diesem Flop schon 25 verschiedene Karten-Kombinationen aus - das ist eine ganze Menge. Kurz: selbst wenn man mit K-J einen guten Flop und Top-Pair trifft, kann man sich nicht über alle Maßen wohl fühlen, wenn der Gegner eine eher starke Range hat.
Ein Spieler, der von UTG eröffnet hat in der Regel eine starke Range. Deswegen ist K-J (auch suited) hier bestenfalls eine sehr marginale Hand.
Es wäre fatal mit dieser Hand in dieser Position einen Raise zu callen. Dafür gibt es zwei Gründe:
- Keine Initiative: Zum einen spielt man gegen eine starke Range zwar mit Position aber ohne Initiative. In knapp zwei Drittel der Fälle wird man den Flop verfehlen und wenn der Gegner setzt, hat man kaum bessere Alternativen als zu folden. Das ist keine lukrative Aussicht.
- Einladung zum Squeeze: Zum anderen lädt man Spieler in späteren Positionen ein, nach Raise und Call einen Re-Raise zu bringen. In späten Phasen eines Turniers sind aggressive Re-Raises an der Tagesordnung und mit K-J (auch suited) hat man dagegen keine andere Spieloption als einen Fold. Auch das ist keine lukrative Aussicht.
Es gibt für Coleman hier also nur zwei mögliche Spielweisen:
- Fold: Ein Fold ist in dieser Situation der einfachste Zug. Wirft man diese Hand in dieser Situation weg, macht man auf jeden Fall keinen Fehler. Wer sich in marginalen Situationen nicht ausgesprochen wohl fühlt, sollte hier immer am ehesten zum Fold tendieren.
- Raise: Will man die Hand spielen, kann man - so wie es Coleman tat - zum Raise ansetzen. Damit bringt man die restlichen Mitspieler von einem Re-Steal-Versuch ab und man hat eine gewisse Chance, den Pot direkt vor dem Flop zu gewinnen, demonstriert man mit einer 3-Bet auf 7,5 Big Blind aus so früher Position doch enorm viel Stärke. Callt der Raiser UTG hat man immer noch eine ordentliche Hand zum Weiterspielen. Nur muss sich Coleman bewusst sein, dass er sich mit dem Raise gegen bessere Hände isoliert. Sprich: Wenn Lim ihn callt, dann liegt er fast immer hinten.
In der Hand raist Coleman auf 7,5 Big Blind und Dragana Lim callt. Der Call mit 99 ist vertretbar. Die Hand ist zu gut, um gegen einen aggressiven Spieler direkt aufgegeben zu werden, aber nicht stark genug für ein All-In vor dem Flop (worauf es bei einem Re-Reraise hinauslaufen würde). Wichtig ist, dass Lims Spielplan nach dem Flop sein muss, möglichst oft zum Showdown zu kommen, selbst wenn sie kein Set trifft und gegebenenfalls zu bluffen. Ein Call in der bloßen Hoffnung, ein Set zu treffen ist fatal und verbranntes Geld.
Siehe auch:
Flop: Niemand hat die Absicht, den Pot sofort zu gewinnen
Das Spiel auf dem Flop ist nicht sonderlich bemerkenswert. Mit 99 auf einem T-high Flop hat Lim eine Hand, die gut genug ist, um check-call zu spielen. Coleman spielt rund ein Drittel des Pots an und repräsentiert damit TT+ oder Ass-hoch.
Der Plan Colemans mit einer so kleinen Bet ist es übrigens nicht, den Pot sofort zu gewinnen. Er weiß, dass Lim hier kein Paar und wahrscheinlich auch Ass-hoch nicht folden wird. Seine Idee ist, auf einem guten Turn mit dem Bluffen fortzufahren. Fällt zum Beispiel eine beliebige Karte über Zehn, kann Coleman einfach weitersetzen und erzählt dabei glaubwürdig die Geschichte einer starken Hand. Dann kann er darauf vertrauen, dass Lim all ihre marginalen Hände entsorgen wird.
Turn: Erstickte Action
Eine zweite Zehn auf dem Turn vereitelt Colemans Plan des Bluffs. Paart sich die oberste Karte des Flops auf dem Turn hat dies häufig eine erstickende Wirkung auf die Action am Tisch.
Das Paar auf dem Turn ändert nichts an den möglichen Handstärken der Spieler, es macht es nur unwahrscheinlicher, dass einer der Spieler Top-Pair hat. Lim fühlt sich mit einem Paar Neunen nun wohler als auf dem Flop und Coleman sieht ein, dass ein Bluff hier zu aussichtslos ist - denn was will er auch repräsentieren?
Entsprechend ist der Check beider Spieler nachvollziehbar, insbesondere da Coleman nur noch genau eine Bet in Größe des Pots übrig hat. Damit ist es nicht ganz leicht, eine Drohkulisse aufzubauen.
River: Value-Bet mit gehörigem Echo
Auf dem River fällt ein König. Dieser gibt Coleman Top-Pair und es kommt zu einem erstaunlichen Feuerwerk.
Lim checkt mit ihren Neunen erneut, allerdings ist der König für sie eine nachteilige Karte. Es ist durchaus möglich, dass der König ihrem Gegner geholfen hat und sie hat nur noch sehr wenig Manövrierraum, um erfolgreich zu bluffen.
Coleman bringt eine Bet in Höhe von 1.150k Chips - etwas mehr als ein Drittel des Pots. Das ist eine ganz klare Value-Bet, um von Händen wie 99, JJ oder QQ ausgezahlt zu werden. Gleichzeitig könnte er eine solche Bet auch mit Händen wie A-J oder A-Q bringen (hier nun in der Hoffnung, der Gegner würde seine kleinen Paare folden). Tatsächlich sollte Coleman hier mit dem größten Teil seiner Range auf dem River setzen.
Dragana Lim nimmt sich ein Herz
Keine zehn Sekunden nachdem Coleman seine kleine Value-Bet gebracht hat, schaut Dragana Lim kurz zum Dealer und annonciert eiskalt: All-In.
Dieser Spielzug signalisiert eine Menge Stärke. Zum einen brauchte Lim nicht lange, um sich zum All-In durchzuringen, zum anderen gibt sie ihrem Gegner phänomenale Pot-Odds. Jemand, der bei Trost ist, würde so etwas doch nicht als Bluff machen, oder?
Schauen wir uns einmal die Pot-Odds an. Coleman muss t1.790k nachzahlen, um einen Pot in Höhe von t8.780.000 zu gewinnen. Das heißt, rein nach Pot Odds muss seine Hand nur in etwas über 20% der Fälle gut sein, um (nach Pot Odds) einen profitablen Call zu haben.
Aber blufft Lim hier in 20% der Fälle?
Coleman muss davon ausgehen, dass Lim hier entweder eine Hand hat, die ihm meilenweit überlegen ist, oder reine heiße Luft hat.
Karten zählen: Lim hat keine starke Value-Range
Bei der Überlegung, welche Hände Dragana Lim hier for value raisen würde, kommt man zu Lims Nachteil schnell an Grenzen. Es gibt in ihrer Range schlicht nicht sehr viele sehr starke Hände auf dem River, die sie glaubhaft repräsentiert.
Es drängen sich auf: langsam gespielte KK, TT, eventuell ATs und AKs und mit viel gutem Willen ein merkwürdig gespieltes Paar Asse. Das sind in Summe aus Sicht Colemans nicht viele Einzelkombinationen:
- KK: 1 Kombination ist möglich
- TT: 1 Kombination ist möglich
- ATs: 2 Kombinationen sind möglich
- AKs: 2 Kombinationen sind möglich
- AA: 6 Kombinationen sind möglich
(Kleine Paare wie Zweien oder Dreien hätte sie fast sich nicht so vor dem Flop gespielt.)
Das heißt, in Lims gesamter Range sind grade einmal 12 realistische Kombinationen, die sie so spielen könnte und die Coleman schlagen. Und dabei sind wir schon enorm großzügig, denn insbesondere für Asse wäre das eine sehr merkwürdige Spielweise.
Das Problem ist, dass diese Value-Range so klein ist, dass fast immer genügend Bluffs in Lims Range sind, um einen Call zu rechtfertigen.
Lim muss nur in 20% der Fälle bluffen, um einen Call nach Pot-Odds zu rechtfertigen. Das heißt, wenn wir auch nur 3 Handkombinationen finden, die sie auf dem River check-raist und die Bluffs sind, ist ein Call nach Pot-Odds korrekt.
In der oberen Überlegung trauen wir Dragana Lim zu, mit Assen auf eine so merkwürdige Art zu spielen. Dann ist es mehr als gerechtfertigt auch anzunehmen, dass sie ab und zu mit AJs oder AQs so auf diesem River landet und einen Check-Raise-Bluff versucht. Diese beiden Hände machen (aus Sicht Colemans) schon 7 Kombination aus.
Das heißt, nach dieser Überlegung sind in Lims Range bestenfalls 12 Value-Kombinationen gegen mindestens 7 Bluff-Kombinationen. Sprich: in mindestens 7 vom 19 Fällen blufft sie - das wäre in über 36% der Fälle.
Damit hat David Coleman einen einfachen Call nach Pot Odds.
Warum Lims Bluff nicht funktioniert
Der Bluff Lims ist aus zwei Gründen zum Scheitern verurteilt:
- Zu gute Odds: Sie gibt ihrem Gegner zu gute Odds. Wenn man nur in 20% der Fälle vorne liegen muss, ist es vergleichsweise leicht, sich zum Call durchzuringen. Wären die Stacks größer, wären die Odds für Coleman schlechter. Müsste er zum Beispiel in einem Drittel der Fälle die beste Hand haben, um erfolgreich callen zu können, wäre Lims Bluff viel wahrscheinlicher erfolgreich gewesen.
- Sie repräsentiert zu wenig starke Hände: Auf dem Board repräsentiert Lim eine enorm kleine Value-Range. Schaut man sich das All-In an, ohne ihre Karten zu kennen, findet man auf die Frage "Was willst Du denn da haben?" nur wenige Antworten. Ganz drastisch ausgedrückt: Sie repräsentiert im Grunde nur einen schlechten Bluff.
Dass Coleman trotzdem fast 5 Minuten brauchte, um sich zu einem Call durchzuringen, zeigt, dass der Bluff Lims schlicht durch den Überraschungsfaktor fast aufgegangen wäre. Aber am Ende war der Zug zu abwegig, um gegen David Coleman zu funktionieren.
Der bessere Zug Lims auf dem River wäre ein Check-Call gewesen. Nach Colemans initialer Bet in Höhe von t1.150 hätte Lim einfach callen können. Nach Pot-Odds hätte sie nur in etwas über 22% der Fälle vorne liegen müssen, damit der Call profitabel ist. In Colemans Range auf dem River sind sicherlich ein paar Hände wie AQ oder AJ, die den König bluffen und die Lim schlägt.
Im Laufe des WSOP Main Events 2021 schied Dragana Lim auf Platz 64 als Last Woman Standing aus. David Coleman schied minimal besser ab und erreichte Rang 58.