Hier ist eine Hand, in der ich letztens „broke“ gegangen bin. Ich will Ihr Mitleid nicht, ehrlich gesagt, ich verdiene es gar nicht.
Ich schreibe diesen Artikel, weil die Situation, in die ich geriet, häufig auftritt und aus psychologischer Sicht interessant ist.
Es gibt einen Fachausdruck für diese Art von Konstellation. Man nennt sie Hirnfurz. (Also gut, dann ist es eben kein Fachausdruck.)
Wir spielen $2/$5 No Limit Hold’em. Ich sitze am Button mit einem Stack von etwas über 1000 Dollar. Der Spieler rechts von mir hat gerade einen extrem hässlichen Bad Beat bekommen und tilted wie ein Flipperautomat mit drei Beinen.
Er hat also noch einmal für $300 nachgekauft. Der Big Blind ist ein solider, guter Spieler. Sein Stack ist größer als meiner.
Es wird zu Tiltboy gecheckt, und er erhöht auf $35 (die Partie ist sehr aggressiv, und Open Raises zwischen fünf und zehn Big Blinds sind die Regel).
Ich insta-calle mit A ♠ K♠, und noch während ich die sieben roten Chips über die Linie schiebe, höre ich eine Stimme in mir rufen: „Hirnfurz, Reber. Du bist ein Idiot!“
Warum dominiert das Negative?
Ein interessanter Moment, psychologisch gesehen. Im Bruchteil einer Sekunde wurde mir klar, dass ein Call hier nicht der beste Spielzug war (Warum? Das lesen Sie weiter unten.)
Beide Gedanken („guter Call“ und „schlechter Call“) kamen mir gleichzeitig in den Sinn.
Warum aber dominierte der letztere Gedanke? Warum konnte mein Gehirn, das mir doch schon so viele Jahrzehnte treue Dienste leistet, mich hier nicht positiv denken lassen?
Behalten Sie das im Hinterkopf, während wir die Hand durchgehen.
Der SB foldet, der solide Big Blind callt. Der Pot beträgt nun $97. Der Flop fällt A ♦ A ♣ 5♠.
Ich treffe Trips und einen Backdoor Flush Draw. Der BB checkt, Tiltboy setzt $75.
Ich bezahle nur, um einen Call des BB zu induzieren. Es funktioniert. Der Pot beträgt nun $322.
Auf dem Turn kommt die 8♠. Ich ziehe jetzt auch noch zum Nut Flush. Der BB checkt noch einmal, und Tiltboy geht mit seinen restlichen $190 all-in.
Von mir kommt wieder ein Smooth Call. Der BB erhöht auf $500.
Warum so viel?
Hoppla! Überraschung. Mein erster Gedanke ist, „warum so viel?“
Es kommt mir so vor, als wolle er mich mit einem schwächeren Ass aus der Hand drücken. Wenn er ein Monster hätte, würde er doch einfach smooth callen, oder?
Also verkünde ich mein dramatisches insta All-in und wedele mit den Händen über meinen Chips herum.
Noch bevor der Luftzug überhaupt den Tisch überquert hat, schreit die Stimme in mir: „Alter, wenn das eben schon miserabel war, dann hast du dich soeben zum Oberidioten dieses Planeten befördert.“
Und tatsächlich. Natürlich kommt der Call und natürlich zeigt er mir Pocket Fünfen. Nur damit es auch richtig weh tut, kommt auf dem River der Flush an.
Übrigens schmeißt Tiltboy ein Paar Damen offen auf den Tisch (vergessen Sie nicht, dass sogar Spieler, die Phil Hellmuth aufs Korn nehmen wollen, manchmal mit einer Hand aufwachen).
Wann ging es bergab?
Ok, sehen wir uns nun die Hand genauer an, um herauszufinden, was schief gelaufen ist. Und dann kommen wir zur Psychologie des Hirnfurzes.
Mein erster Fehler war, vor dem Flop nur zu callen. Es ist kein grober Fehler, aber ein Raise wäre besser gewesen.
Tiltboy kann hier alles Mögliche haben. Ich bin fast immer Favorit, und ich muss hier versuchen, ihn zu isolieren.
Indem ich einen der Blinds in die Hand lasse, mache ich die Sache unnötig kompliziert. Ein Raise auf etwa $100 hätte das erledigt – ich wäre die Blinds losgeworden und hätte Tiltboy schon pot-committed gehabt.
Der zweite Fehler besteht darin, dass ich nicht alle möglichen Hände des BB durchgegangen bin.
Wahrscheinlich hätte ich sowieso alle meine Chips riskiert, aber ich hätte wenigstens vorher darüber nachdenken sollen.
Das wichtigste Merkmal des Hirnfurzes
Also, was war hier entscheidend? Ich sage nur ein Wort: Tempo.
Tempo ist das Wahrzeichen des Hirnfurzes. Man findet ihn in ultraschnellen Calls und plötzlichen All-in Moves.
Sie scheinen aus dem Nichts zu entstehen. Fast immer handelt es sich um Fehler, und fast immer um schwer wiegende.
Ein Hirnfurz kostet Sie nicht nur ein paar Chips. Er kostet Sie Stacks.
Aus psychologischer Sicht basieren Sie auf einer Hierarchie der Gewohnheiten.
In den meisten Situationen haben wir eine ganze Bandbreite von Reaktionen im Repertoire, ein Arsenal möglicher Verhaltensformen, die hierarchisch geordnet sind. Diejenigen, die am wahrscheinlichsten sind, stehen ganz oben, die unwahrscheinlichsten Reaktionen ganz unten.
Hierarchien werden von oben nach unten abgearbeitet
Die an der Spitze stehenden Reaktionen sind meistens diejenigen, die wir zuerst gelernt haben und die uns am geläufigsten sind. Aber auch die anderen sind da, in unserem Gehirn, und sie warten, und sie lauern.
Die meisten Spieler spielen mehr oder weniger auf Autopilot. Folds, Calls, Raises, sie alle werden ziemlich nach Standard eingesetzt.
Unsere Reaktion wird durch die Hierarchien bestimmt.
In den meisten Fällen ist das auch in Ordnung. Ein Call mit A-K vom Button, wenn nur noch zwei Spieler dahinter sitzen, die beide keine Position haben werden, ist für die meisten Spieler der in der Hierarchie ganz oben angelegte Spielzug.
Eine Ebene darunter liegt der Re-Raise, um mehr Geld in den Pot zu bringen und um den Gegner zu isolieren.
Häufig nehmen sich Spieler aber nicht genug Zeit, um in der Hierarchie nachzusehen, bevor sie den Raise callen.
Jetzt wird’s stressig
Und wie steht es mit einem All-in? Stress war hier der Schuldige.
Wenn wir unter Stress stehen, oder wenn wir überrascht werden, ist die Wahrscheinlichkeit noch größer, dass wir dem ersten Impuls nachgeben, also der Spitze der Hierarchiepyramide.
Wir denken einfach nicht gründlich genug nach.
Genau das ist hier auch passiert. Ich war überrascht (und stand natürlich auch unter Stress) von dem Raise und verließ mich auf meinen ersten Read, anstatt noch einmal gedanklich nachzubohren.
Übrigens ist Stress ein extrem wichtiger Faktor für Poker. Ich werde an anderer Stelle näher darauf eingehen.
Die Zehner-Regel
Nun kennen wir also das Problem. Aber was ist die Lösung?
Hier ist mein Vorschlag: Die Zehner-Regel. Jede Situation, die nach einer Bet, einem Raise oder einem Call in Höhe von mehr als zehn Big Blinds geradezu schreit, lehnen Sie sich zurück und zählen Sie bis zehn.
Sie müssen nicht nachdenken. Zählen Sie einfach.
Der ursprüngliche Impuls vergeht, und Sie erhalten Zeit, um sich die Alternativen anzusehen.
Es ist nicht ganz einfach, diese Regel umzusetzen, und zwar aus einem ebenso offensichtlichen wie paradoxen Grund: Es ist ein neues Verhaltensmuster, und deshalb steht es in der Hierarchie ganz unten.
Warten Sie es ab. Schneller als Sie glauben, werden Sie sich in der Situation wiederfinden, dass Ihre Lippen noch die Worte „all-in“ formen, während eine Stimme in Ihrem Gehirn schon ruft: „Hirnfurz! Du hast vergessen bis zehn zu zählen!“
sehr erfrischend – obwohl ja ein Furz genau das Gegenteil ist. Danke, mehr von solchen Artikeln. Gruss Fortunahand
Sehr geil. Macht Spaß, mal was zu lesen, dass ein bisschen aus dem Rahmen fällt und keine einfachen “Wahrheiten” verbreitet.