Nichts ist schöner für einen Profi, als den schlechten Bluff eines Amateurs zu entlarven, und nichts regt einen Amateur mehr auf, als entlarvt zu werden.
Ein Amateur, der innerhalb seiner begrenzten Möglichkeiten denkt, greift ab und zu zu einem schlechten Bluff, weil er ihn für einen starken Spielzug hält. Bluffen ist aber nur etwas für Fortgeschrittene, die ein tiefes Verständnis des Spiels besitzen.
Eine Hand, zwei Geschichten
Wenn es auf einer belebten Kreuzung zu einem Verkehrsunfall kommt, besteht kein Mangel an Zeugen, mit der die Polizei sprechen kann. Ein bemerkenswertes Phänomen ist dabei, dass jeder Augenzeuge eine andere Geschichte erzählt, selbst wenn der Unfall erst kurz zuvor passiert ist.
Obwohl alle Zeugen dasselbe Geschehen verfolgt haben, haben alle etwas Anderes gesehen bzw. erinnern sich an unterschiedliche Dinge. In der forensischen Psychologie spricht man hier von der „Augenzeugenerinnerung“.
Die Erzählungen von Augenzeugen sind für die Polizei ebenso wertvoll, wie sie Unsicherheitsfaktoren sind. Wahrnehmung ist fehleranfällig, und menschliche Wahrnehmung ist vor allem Interpretation.
Das bedeutet, dass jeder Spieler die Hand, in die er gerade verwickelt ist, verschieden deutet. Dasselbe gilt für die vergangenen Hände. Die beteiligten Spieler haben unterschiedliche Informationen (denn sie kennen ja nur die eigenen Hole Cards), und sie gehen unterschiedlich damit um.
Schlechte Bluffs
Dieses erste Beispiel ist absolut typisch für den schlechten Bluff eines Amateurs.
Die Situation: Der Amateur sitzt in früher Position, die Größe seines Stacks liegt bei $175 etwas unter dem Schnitt. Der Profi sitzt am Button mit $325 und damit etwas mehr als dem Schnitt. Beide Spieler sitzen bereits seit Stunden am selben Tisch, es gibt keine spezielle History zwischen ihnen.
Pre-Flop: Der Amateur erhöht, der Profi bezahlt. Es geht Heads-up auf den Flop.
Flop:
Der Amateur checkt, der Profi ebenfalls.
Turn:
Der Amateur checkt, der Profi ebenfalls.
River:
Der Amateur setzt Potgröße, der Profi bezahlt.
Der Amateur zeigt
Der Profi zeigt und gewinnt mit zwei Paaren, Sechsen und Buben.
In diesem Szenario bleibt der Amateur meistens der Mund offen stehen, weil er nicht verstehen kann, wie der Profi diesen Call mit nichts als Bottom Pair gemacht hat. In der Erinnerung des Amateurs hat er vor dem Flop erhöht und damit eine starke Hand repräsentiert.
Der Profi hat auf keiner Straße gesetzt. Offensichtlich hat er kein hohes Paar. Da nur der Amateur die starke Hand repräsentiert, hält er es für unmöglich, dass der Profi einen Call spielen kann, nachdem sich das Board gepairt hat.
Der Profi kann hier ausschließlich einen Bluff schlagen, und da der Amateur vor dem Flop Stärke gezeigt hat und außerdem ein tightes Tischimage besitzt, ist er der Ansicht, dass der Profi ihn auf keinen Fall auf einen Bluff setzen kann.
Der Profi sieht den Verlauf der Hand ganz anders. Aufgrund des tighten Images setzt der Profi den Amateur vor dem Flop bereits auf eine starke Hand und entscheidet sich dann für einen eher loosen Call mit Suited Connectors. Der Flop bringt dem Profi ein niedriges Paar ohne nennenswerte Draws.
Nachdem der Amateur den Flop gecheckt hat, weiß der Profi, dass der Amateur eine von zwei Händen besitzt: entweder ein Set Buben, mit dem er checkraisen will, oder ein starkes Ass wie A-K oder A-Q, mit dem er keine C-Bet spielen will.
Hätte der Amateur AA, KK, QQ oder A-J, würde er mit große Wahrscheinlichkeit auf dem Flop setzen, da dort ein Flush Draw legt.
Der Profi ist liegt nun entweder weit zurück oder spielt gegen einen Gegner mit sechs Outs. Außerdem kann der Profi auch einen Flush repräsentieren, falls ein weiteres Karo auf dem Board fällt. Sollte der Amateur Angst vor dem Draw zeigen, hat er wahrscheinlich sogar nur vier Outs.
Der Turn verändert die Situation kaum. Da der Amateur noch einmal checkt, ist sich der Profi nun fast völlig sicher, dass der Amateur A-Qoder A-K hält. Damit entscheidet er sich für einen Check behind, um sich nicht dem Risiko eines Checkraise auszusetzen.
Ein Nebeneffekt dieses Check behind ist, dass der Amateur ermutigt wird, den River von vorne zu bluffen, weil der Profi keine Stärke gezeigt hat und deshalb folden muss.
Soweit es den Profi betrifft, ist der River eine komplette Blank. Da er schon auf dem Flop ausgeschlossen hat, dass der Amateur einen Buben hält, ist dieser River nicht mehr als eine Bestätigung. Der Amateur setzt tatsächlich den Donk-Bluff an, auf den der Profi gewartet hat, und der Profi bezahlt sofort.
In den Augen des Amateurs war sein Spielzug ein starker Bluff, denn seiner Ansicht nach konnte nur eine Hand mit einem Buben die Bet bezahlen. Der Amateur hatte eigentlich einen guten Read auf den Profi, hat aber nicht bedacht, was der Profi für Informationen über ihn hatte.
Amateure sind immer überrascht und schockiert, wenn ein Profi hier nur mit Bottom Pair bezahlt. Aus Sicht des Profis dagegen gab es in dieser Situation gar keinen Grund für einen Fold.
In unserem zweiten Beispiel, das sich gut eine Stunde nach dem ersten zuträgt, zeigen wir die Kehrseite des ersten. Hier glaubt der Amateur, einen Hero Call zu machen.
Situation: Der Profi sitzt in früher Position, jetzt mit einem großen Stack von $770. Der Amateur hat einen Stack von $325, etwas über dem Durchschnitt.
Pre-Flop: Der Profi limpt, der Amateur erhöht, der Profi bezahlt. Heads-up geht es auf den Flop.
Flop:
Der Profi checkt, der Amateur setzt, der Profi bezahlt.
Turn:
Der Profi checkt, der Amateur setzt, der Profi bezahlt.
River:
Der Profi setzt den halben Pot, der Amateur bezahlt.
Der Amateur zeigt
Der Profi zeigt
In diesem Beispiel hat der Amateur den richtigen Read auf den Profi. Er setzt ihn auf einen Flush Draw und setzt korrekt mit Top Paar.
Als der Flush auf dem River nicht ankommt, denkt der Amateur, es nun mit einem schwachen Bluff zu tun zu haben, und bezahlt mit dem Paar Damen.
Der Amateur hat es verpasst, einen Schritt weiter zu denken. Im Bewusstsein, dass der Profi auf einem Flush Draw sitzt, hätte der Amateur davon ausgehen können, dass es sich um den Nut Flush handelt. Mit dem Ass auf dem River hat der Profi also seinen Flush Draw verpasst, könnte aber dennoch nun die beste Hand halten.
Die einzige Hand, vor der sich der Profi hier fürchtet, ist A-Q für Top Two Pair. Bei seiner Wette handelt es sich um eine Thin Value Bet, die allerdings perfekt funktioniert.
Bevor Sie damit beginnen, Ihre Gegner zu bluffen, müssen Sie alle möglichen Faktoren mit in Ihre Überlegungen einbeziehen. Erfolgreiches Bluffen erfordert zumeist, den Bluff schon auf den ersten Straßen vorzubereiten. Kann unser Gegner uns nicht wirklich auf eine Hand setzen, die ihn schlägt, geht unser Bluff schief.
Wenn wir in den ersten Setzrunden spielen, als hätten wir eine schwache Hand, nur um dann auf dem River plötzlich ein Monster zu repräsentieren, besteht die Chance, dass wir gecallt werden. Solche Bluffs funktionieren übrigens meistens dann, wenn der Bluffer nur glaubt, dass er blufft, aber tatsächlich die beste Hand hält.
Bevor wir einen Angriff auf den Pot unternehmen, müssen wir uns vor Augen führen, welches Bild wir beim Gegner abgeben, und welches Bild dieser bei uns erzeugt. Nur wenn diese beiden Bilder zusammenpassen, hat unser Bluff gute Erfolgsaussichten.
Am besten lernt man die Situationen einzuschätzen, indem man so viele Hände sieht wie nur möglich. Dank der Vielzahl von Möglichkeiten im Netz ist es heutzutage kein Problem mehr, an einem Wochenende mehrere tausend Hände zu spielen.