In unserer Rubrik Handsalat werfen wir einen Blick auf spannende oder strategisch interessante Hände der Pokerwelt. Dabei beleuchten wir die Feinheiten jedes Zugs und bewerten die Spielweise der Akteure.
In unserer ersten Hand in dieser Rubrik schauen wir auf das Main-Event der WSOP 2021. Genauer gesagt auf Tag 1B und ein gefoldetes Set von JJ Liu.
Schauen wir uns erst einmal die Hand an:
JJ Liu foldet Bottom Set im WSOP Main Event
Die Blinds liegen bei t300 / t500 mit einer t500 Big Blind Ante.
Steve Zolotov (UTG, t57.400): A K
Perry Friedman (CO, t209.700): 8 8
JJ Liu (BU, t176.000): 2 2
Preflop: Action unbekannt
Flop (t9.200): K 8 2
Zolotov setzt t6.000, Friedman raist auf t22.000, Liu callt t22.000, Zolotov foldet
Turn (t59.200): 4
Friedman geht all-in (t186k), Liu foldet
So hat sich die Hand entsponnen:
Some people go broke with top pair top kicker, some people go broke with bottom set... but not JJ Liu and Steve Zolotow! pic.twitter.com/LtrbEzae11
— PokerGO (@PokerGO) November 5, 2021
Stärke über Stärke auf dem Flop
Betrachten wir die Hand nun aus strategischer Sicht. Uns fehlt zwar die Action vor dem Flop, aber die ist kaum notwendig, um die Spielweisen auf Flop bei der gegebenen Action einschätzen zu können.
Die Größe des Pots vor dem Flop liegt bei über 18 Big Blinds, weswegen wir davon ausgehen können, dass hier Raise und Re-Raise im Spiel waren. Das Board ist vergleichsweise trocken und erlaubt nur einen Flush-Draw.
Wir schauen uns im Folgenden die Aktionen der Spieler an und überlegen, mit welchen Handkombinationen sie so spielen würden. Dank der Aufzeichnung kennen wir zwar ihre Hände, aber die Spieler selbst haben diesen Luxus natürlich nicht und müssen während der Hand deduzieren, was ihre Gegner haben könnten. Wir versetzen uns in die Lage der Spieler am Tisch und versuchen anhand der Aktionen zu bestimmen, welche Hände (oder besser welches Spektrum an Händen) die Spieler halten.
Siehe auch:
Stärke Zolotov: Große Bet von vorne
Zolotov spielt auf diesem trockenen Board eine substanzielle Bet - knapp zwei Drittel des Pots. Er hat keine Position und würde eine so große Bet wahrscheinlich nur mit einer starken bis sehr starken Hand machen. Die Range, die er seinen Mitspielern signalisiert ist Top-Pair oder besser.
Er ist damit der erste im Reigen der Dreien, der hier Stärke demonstriert.
Stärke Friedman: Massiver Raise in der Mitte
Friedman setzt hernach zu einem heftigen Raise an. Rechnerisch liegt seine Raise-Größe etwa bei drei Vierteln des Pots - eine massive Ansage in Turniersituationen. Mit welchen Hand-Kombinationen würde Friedman einen solchen Raise bringen? Ganz klar würde Friedman alle seine Monster (also extrem starke Hände) so spielen - das sind alle Sets (KK, 88 oder 22). Aber darüber hinaus gibt es schon keine besonders starken Hände mehr, die er wahrscheinlich raisen würde. Eventuell käme er ab und zu mit Ass-König auf die Idee, den Flop zu raisen, doch das wäre keineswegs ein selbstverständlicher Zug.
Flushdraws kann man aus Friedmans Range weitgehend eliminieren. Damit würde er wahrscheinlich eher nur callen, um Liu, die hinter ihm noch an der Reihe ist, eine Chance zu geben, ebenfalls zu callen. Wir sagen nicht, dass Friedman hier niemals mit einem Flush-Draw raisen würde (tatsächlich wäre ein Raise mit einem schwächeren Flush-Draw hier ab und zu korrekt), aber es ist nicht das wahrscheinlichste Szenario.
Stärke Liu: Call aus dem Kalten
Nach dem Raise ist Liu an der Reihe und callt. Dieser Zug demonstriert eine Menge Stärke, denn mit ihrem Call ist die Action auf dem Flop nicht nicht abgeschlossen. Hinter ihr ist Zolotov noch an der Reihe und es ist durchaus im Rahmen des Möglichen, dass er seinen Stack in die Mitte schiebt. Liu würde in dieser Situation praktisch niemals mit einer Hand wie Top-Pair (etwa mit A K ) callen. Gegen die von ihren Mitspielern demonstrierte Handstärke ist eine solche Hand schon viel zu schwach.
Es gibt auf diesem Board nur zwei Handtypen, die sie halten könnte und die diesen Raise auf dem Flop aus dem Kalten callen können: Sets und verdammt starke Flush-Draws (etwa A K für den Nut-Flush-Draw mit Top-Pair). Mit allen anderen Händen würde Liu fast sicher passen.
Simpler Fold auf dem Turn
Nach dem Call von Liu wirft Zolotov völlig folgerichtig sein Top-Pair in den Muck und es kommt zum Turn. Die 4 ist eine absolut bedeutungslose Karte und ändert nichts an den jeweiligen Handstärken.
Friedman geht all-in und diese Bet entspricht mehr als dem doppelten Pot - über 300 Big Blinds. Liu nickt ein paar Mal und schiebt ihre Karten nach wenigen Sekunden in die Mitte, um einen Fold zu signalisieren. Mehrere Pokermedien schrieben von einem "absurden Fold", hatte Liu doch ein Set auf einem ungefährlich aussehenden Board. Diese Einschätzung ist Unfug. Alles andere als ein Fold Liu's wäre in dieser Situation absurd gewesen.
Mit unseren Überlegungen auf dem Flop haben wir eine Menge Vorarbeit geleistet, um das Spiel auf dem Turn einschätzen zu können. Liu weiß, dass Friedman fast immer eine sehr starke Hand hat und nur sehr selten mit einem Flush-Draw so spielen würde. Wir können nun auch Hände wie nackte Top-Pairs aus Friedmans Range eliminieren. Damit würde er in dieser Turniersituation schlicht niemals eine solche Overbet bringen. Alle Hände aus der Kategorie "sehr stark" schlagen das Bottom-Set von Liu. Ganz folgerichtig muss das Set deswegen entsorgt werden.
Bevor wir auf das Spiel Friedmans zu sprechen kommen, schauen wir uns die Situation aus Sicht von Liu noch einmal ganz genau an.
Die Mathematik hinter dem Fold auf dem Turn
Im Folgenden werfen wir einen kurzen Blick auf die Mathematik und fragen: Wie wahrscheinlich muss es sein, dass Friedman blufft, damit Liu hier profitabel callen kann.
TLDR: Wem Mathematik zu trocken ist, kann die folgende Box überspringen. Nur wenn Friedman in mindestens 49,8% der Fälle blufft, kann Liu profitabel callen.
Welche Odds bekommt Liu auf dem Turn?
Zunächst schauen wir uns einmal an, welche Odds Liu auf dem Turn bekommt.
Liu muss t152.000 zahlen und kann einen Pot in Höhe von t363.200 gewinnen. Betrachtet man die nackten Pot-Odds muss sie sie in 41,85% der Fälle die Hand gewinnen, um mit einem positiven Erwartungswert callen zu können.
Um überhaupt darüber nachdenken zu können, das All-In zu callen, muss Liu annehmen, dass Friedman ab und zu blufft. Nehmen wir also einfach einmal an, dass er ab und zu doch einen (starken) Flush-Draw hat. Wenn nicht, dann hat er ein Set und Liu geschlagen.
Was ist Liu's Gewinnwahrscheinlichkeit in den einzelnen Fällen?
- Gegen einen Flushdraw: Liu's Gegner hat 7 Outs und Liu hat 84,09% Gewinnwahrscheinlichkeit.
- Gegen ein Set: Liu hat 1 Out zu Quads und 2,27% Gewinnwahrscheinlichkeit.
Wie oft muss Friedman bluffen, damit Liu den Turn profitabel callen kann?
Jetzt kommt ein wenig Mathematik ins Spiel. Wir nehmen an, dass Friedman in x Prozent der Fälle einen Flush-Draw hat und in (100 - x) Prozent der Fälle ein Set.
Der Erwartungswert (in Chips) für einen Call Liu's auf dem Turn kann in Abhängigkeit von x (also der Wahrscheinlichkeit, dass Friedman blufft) wie folgt ausgedrückt werden:
EV = x * (84,09% * t363.200) + (1 - x) * (2,27% * t363.200)
Wenn x = 0% (also wenn Friedman nie blufft), liegt Liu's Erwartungswert bei grade einmal t8.244 (sie gewinnt nur, wenn sie eine 2 auf dem River trifft). Für x = 100% (als wenn Friedman immer blufft), liegt Lius Erwartungswert bei t297.006 (sie gewinnt immer, wenn kein Karo fällt).
Wenn Liu auf dem Turn foldet, hat sie auch einen Erwartungswert, nämlich genau die Anzahl der Chips, die sie noch hält. Das sind t152.000.
Die spannende Frage ist nun, wie groß muss x sein, damit er Erwartungswert für einen Call den für einen Fold übersteigt. Sprich: Wie oft muss Friedman bluffen, damit Liu profitabel callen kann? Hierfür kann man einfach die obige Formel nach x umstellen und für EV = t152.000 lösen. Dann kommt auf x = 49,8%.
Sprich: Wenn die Wahrscheinlichkeit, dass Friedman blufft über 49,8 Prozent liegt, ist ein Call Liu's mathematisch nach Pot-Odds korrekt.
Blufft Friedman hier in 50% der Fälle?
Ohne starke Reads kann man davon ausgehen, dass ein Spieler in dieser Turniersituation auf dem Turn nach der Aktion auf dem Flop nur extrem selten blufft, definitiv nicht in 50% der Fälle.
Es wäre absurd anzunehmen, dass jemand erst auf dem Flop gegen drei Spieler so viel Stärke zeigt und dann auf dem Turn (nachdem seine Mitspielerin ebenfalls Stärke gezeigt hat) eiskalt und trocken mit einem Semi-Bluff all-in schiebt. Das wäre ein sensationeller Zug, aber keineswegs etwas, das ein durchschnittlicher Spieler in 5 von 10 Fällen machen würde.
Warum das Spiel von Friedman falsch ist
Werfen wir nun noch einen kurzen Blick auf das Spiel von Friedman und fragen uns, wie hätte er besser spielen können.
Mit Middle Set gegen Bottom Set hat man beim Poker eigentlich eine einzigartige Chance, ganz groß abzuräumen. Diese Chance hat Perry Friedman mit seinem rumpelfüßigen All-In vertan. Schon auf dem Flop war sein Raise sehr hoch angesetzt und hätte ein wenig kleiner ausfallen können.
Auf dem Turn jedoch hätte er mit einer Bet in Höhe des halben Pots oder gar noch weniger weit bessere Aussichten auf hohe Auszahlung gehabt. Hätte Friedman die Hand besser durchdacht, hätte er gewusst, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass Liu nach dem Call auf dem Flop einen Flush-Draw hat. Er hätte wissen können, dass sie wahrscheinlich eine enorm starke Hand, sprich ein Set, hält.
Mit seinem All-In auf dem Turn schafft es Friedman, sich mit Middle Set gegen den besseren Teil von Liu's Range zu isolieren, denn die einzige Hand mit dem sie das All-In callen kann sind Könige und die schlagen Friedman. Alle anderen Hände zwingt er in den Muck.
Zusammenfassung
Entscheidungen beim Poker sind oft schwer. Aber manchmal sind sie doch sehr einfach. Und JJ Liu's Fold von Bottom Set auf dem Turn war fast genauso einfach, wie das Entsorgen von 7 2 vor dem Flop. Perry Friedman hat ihr diese Entscheidung mit seinem unglücklichen All-In viel zu leicht gemacht.